
Liebe Allianz der Vernunft,
Ein neuer Meilenstein scheint vollbracht, laut Innenminister Karner, niedergeschrieben in einer gemeinsam unterzeichneten Erklärung, welche folgende fünf Kernpunkte enthält:
1. Robuster Außengrenzschutz
2. Konsequente Rückführungen
3. Strategische Kooperationen mit Drittstaaten
4. Schnelle Verfahren
5. Kampf gegen Schlepper
Im Beisein von 16 Ländern und ihren zahlreichen Vertreter*innen wurden wieder gemeinschaftliche Pläne geschmiedet, die Zäune noch engmaschiger zu gestalten und die Mauern noch höher zu bauen. Ich war natürlich wieder mal nicht eingeladen, bedauerlicherweise, ich hätte Ihre Diskussion nämlich furchtbar gerne um eine realitätsnahe Perspektive erweitert.
Aber nun gut, ich weiß schon, an diesen Tischen, dort sitzen, essen und trinken nur die vornehmen Leute, der gleichen Couleur, da gehöre ich eben nicht dazu.
Aber dann sehen wir uns das ganze halt hier im Detail an, reflektiert und so realitätsnah wie möglich.
Punkt 1: Robuster Außengrenzschutz
Im Jahr 2017 habe ich an der Serbisch-Ungarischen und Serbisch-Kroatischen Grenze gearbeitet. Als humanitäre Fachkraft. Damals schon, war ihr Außengrenzschutz ein robuster. Unzählige Menschenleben sind daran zerbrochen und die leuchtenden Flutlichter in der Nacht, die bellenden und keifenden deutschen Schäferhunde und die erniedrigenden Sprüche der ungarischen Grenzschützer, haben mir auf der anderen Seite des Waldes, mehr als nur einmal einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Sie sprachen schon damals eine so deutliche Sprache, welche sich damals, sowie heute, unter dem Begriff der schweren Menschenrechtsverletzungen sowie Folterhandlungen klassifizieren lassen. In unseren mobilen Kliniken, welche wir trotz täglicher behördlicher Schließungsandrohung, durchgeführt haben, waren diese Patient*innen zahlreich. Zahlreich mit all ihren Biss, Riss und Quetschverletzungen. An Händen und Beinen, manchmal auch am ganzen Körper. Aber schlimmer noch, war der ausdruckslose Blick in den Augen der Kinder, welche mich fragten, was sie Schlimmes verbrochen hätten, um so von Erwachsenen behandelt zu werden.
Es war eine kalte Nacht, in der Madina getötet wurde. Madina ein 6-jähriges Mädchen aus Afghanistan, mit solch hoffnungsfrohen, strahlenden kugelrunden tiefschwarzen Augen, die plötzlich aufgeschwemmt, mit Hämatomen und Blutungen übersät auf dem Boden gelegen ist. Ein erschlaffter Kinderkörper. Ohne Muskeltonus. Ohne Puls. Um sie herum, ein schreiender und weinender Vater, eine schreiende und sich haareraufende Mutter und ihre Geschwister, welche sprachlos dem Geschehen folgten, verlegen, verstummt, regungslos, am leblosen Körper ihrer Schwester zupfend, ohne wirklich zu verstehen, warum diese nicht mehr aufwacht, trotz des ganzen Lärms, trotz der ganzen Tränen.
Am 15. August 2021, als die Taliban, nach 20 Jahren, erneut die Macht in Afghanistan übernommen haben, war der Aufschrei groß und in aller Munde, die Notwendigkeit der Rettung afghanischer Mädchen und Frauen vor einem Schicksal in Unfreiheit. Da war Madina, seit fast 4 Jahren tot. Ein Mädchen, das mich in meiner Erinnerung, noch immer anstrahlt und mir ein strahlendes Lächeln zuwirft, während sie tanzt in ihren rosa Plastikschuhen. Hauptsache, er ist robust unserer Außengrenzschutz, damit Kinder wie Madina, es nicht schaffen, bei uns ein Leben in selbstbestimmter Freiheit und Sicherheit zu führen.
Es ist mir und ich denke auch vielen anderen, übrigens kein Trost, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 18. November 2021 über das Fehlverhalten der kroatischen Grenzschutzbehörde entsprechend geurteilt hat. Juristisch betrachtet wurde Madina’s Recht auf Leben verletzt. Das klingt so, als ob sich dem eine Heilung anschließen könnte. Aber Tote können nicht wieder zum Leben erweckt werden und so reiht sich der Tod Madina’s in eine Reihe von Todesfällen, die ihr robuster Außengrenzschutz zu verantworten hat.
2. Konsequente Rückführungen
Das Handy ist verstummt. Keine verzweifelte Stimme mehr am anderen Ende der Leitung. Was bleibt am Ende der Abschiebung? Ein Stapel Papier liegt auf dem Tisch. Vergilbte Seiten, abgegriffen und zerknittert. So oft durchgeblättert – immer wieder aufs Neue. Vom Anfang zum Ende. Vom Ende zum Anfang. Von der Mitte nach Vorne, nach Hinten, wieder zurück, noch einmal auf ein Neues. Unfähig den Akt zurück in den Schrank zu stellen, wollen die eigenen Glieder nicht mehr gehorchen. Verharren in lähmender Stille und endloser Leere. Das Gewissen hängt der quälenden Sorge nach, stolpert und stranguliert sich in den Fängen behördlicher Willkür. Wie ein zappelnder Fisch der in Todesangst nach Luft schnappt, ein letztes Mal zuckt bevor er in vollkommener Reglosigkeit verharrt. Die glitzernden Schuppen werden matt, verlieren ihren Glanz und übelriechender Gestank macht sich breit, bleibt einem auf Jahre in der Nase haften. In all seiner Konsequenz, schreckt Österreich dabei nicht davor zurück, gut integrierte Kinder mitten in der Nacht aus ihren Betten zu reißen, um sie zurückzuschicken in Länder, dessen Sprachen sie nicht sprechen, dessen Kulturen ihnen fremd sind.
3. Strategische Kooperationen mit Drittstaaten
Als der Flieger in Tripolis landet, bin ich mir noch nicht bewusst, dass die nächsten 10 Monate, wohl die prägendsten meines Erwachsenenlebens werden. Als ich das erste Internierungslager betrete, höre ich mein eigenes Herz schlagen und das Blut rauscht in meinen Ohren. Neben mir, ein Wächter, bewaffnet mit einer AK-47, welche er stets entsichert, um den Insassen Angst einzujagen und Fluchtversuche zu verhindern. Als die erste Zelle geöffnet wird, kann ich fast nichts sehen, so dunkel ist es. So viele Menschen sitzen zusammengepfercht in einem winzigen Raum. Nur ein ganz kleiner vergitterter Spalt, lässt ein paar Sonnenstrahlen Tageslicht, in den Raum fallen. Völlig apathisch schaut mich eine Gruppe von Menschen an. Ob alt oder jung, ob männlich oder weiblich, alle sitzen eher aufeinander als nebeneinander. Es sind so viele, ich kann sie in der kurzen Zeit die mir gelassen wird, nicht alle zählen. Verzweifelt versuche ich mir ihre Gesichter einzuprägen, so viele wie möglich, mir ihre Namen zu merken, in der Hoffnung ich schaffe es irgendwie, einen Zugang zu ihnen auszuhandeln. Als die Zelle wieder geschlossen wird bleibt mir der beißende Gestank von Fäkalien, noch den ganzen Tag in der Nase haften und die beklemmende Stille, setzt sich tief in meiner Seele fest. So sieht sie also aus, die strategische Kooperation mit Drittstaaten wie Libyen. In den folgenden 10 Monaten, beiße ich mir in Verhandlungen so oft auf die Zunge, noch öfter schlucke ich faust-dicke Klöße hinunter, die mir jegliche Lust und Laune auf Essen verderben und wenn niemand hinschaut, verdrücke ich mir abends die Tränen der Wut. Bis zu einem Frühlingstag, der noch schlimmer war, als alle anderen. An die verschwundenen Patient*innen hatte ich mich gewöhnt, auch an die, die man bei einem Fluchtversuch erschossen hat. Aber an diesem Tag, werden wir gerufen, eine Gruppe Menschen hat ein Bootsunglück überlebt und medizinische Hilfe ist erforderlich. Ich sehe mich heute noch, auf der Anfahrt, in unserem kleinen weißen Bus. Völlig naiv. Unweigerlich fahren wir mit Höchstgeschwindigkeit auf eine Mauer zu, aber noch ist uns das alles nicht bewusst. Erst bei der Ankunft, offenbart sich die ganze Wahrheit und sie brennt sich nicht nur für immer ins Gedächtnis – innerhalb eines halben Tages, bekomme ich weiße Haare. Es sind viel zu viele, verbrannt von Kopf bis Fuß. Hautfetzen hängen an Händen und Beinen und dann diese entsetzliche Stille. Kein Wehklagen vor Trauer, kein sich Aufbäumen vor Schmerzen. Sprachlosigkeit und Entsetzen. Vor uns das tiefblaue Meer, hinter uns zahllose bewaffnete Milizen. Und mittendrin, wir. Und ich schäme mich, über meine weiße Haut, meine Privilegiertheit, die es mir wieder einmal ermöglicht, auf der anderen Seite zu stehen. Bis ich aus meinen Gedanken gerissen werde, als ein kleiner Bub zu weinen anfängt. Ich frage die Frau ob es ihr gut geht und ob der Bub und das etwa 5-jährige Mädchen ihre einzigen Kinder sind. Da sagt sie mir, nur die Tochter gehört zu ihr. Aber nicht das Baby. Seine Mutter hat es gerade noch geschafft, ihr das Kind zu reichen bevor sie ertrunken ist. Und keine Sekunde später, gibt sie mir das weinende Kind und ich denke mir, das hat uns gerade noch gefehlt, was soll nur aus ihm werden. Er ist ganz steif, kalt und weint, sein Strampler ist völlig durchnässt und er steckt sich die Finger in den Mund, weil es sonst nichts zum Essen gibt. Wenig später schlagen alle Verhandlungen fehl und das Baby wird auf einen Pick-up Truck verladen, gemeinsam mit anderen Flüchtlingen, an einen uns unbekannten Ort gebracht. Tagelang lasse ich mir keine freie Minute, in der Hoffnung, das Kind oder weitere Familienangehörige ausfindig zu machen.
So sieht sie also aus, die Realität, dieser sogenannten strategischen Kooperation mit Drittstaaten. Das viele Geld, das kommt jedenfalls nicht dort an, wo es ankommen soll. Aber um das geht es ja auch gar nicht, es geht darum um jeden Preis zu verhindern, dass Menschen auf der Flucht, es nach Europa schaffen könnten. Der Zweck heiligt bekanntlich alle Mittel, unser Steuergeld ist nur eines davon.
4. Schnelle Verfahren
Als im Jahr 2015, die sogenannte „Flüchtlingskrise“ in Salzburg ihren Höhepunkt erreicht, stellen wir auf einmal die Aushebelung sämtlicher Asylrechtskonformität fest. Zahlreich sind die Menschen auf der Flucht, die mit ihren Bescheiden im Büro auftauchen. Die Schlange steht raus bis auf die Straße und immer wieder die gleiche Feststellung: Menschen wird die Antragstellung auf internationalen Schutz verweigert. Was einen klaren Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention darstellt, wird bei der Behörde damit quittiert, dass ich mit der Androhung einer Verhaftung, dazu aufgefordert werde die Dienststelle zu verlassen, nachdem ich gesetzeskonform, höflich aber resolut, darauf bestehe, dass eine Mutter und ihren zwei kleinen Kindern aus Syrien, ihren Antrag auf internationalen Schutz einbringen können. Dabei reißt mir die dort im Dienst tätige Beamtin den Akt aus den Händen. Schnelle Verfahren werden in der Realität gerne so übersetzt, dass es zu keiner umfassenden inhaltlichen Prüfung des Fluchtvorbringens kommen kann.
5. Kampf gegen Schlepper
Es gibt plötzlich zwei Meinungen darüber, ob man Menschen, die in Lebensgefahr sind, retten oder lieber sterben lassen soll. Das ist der erste Schritt in die Barbarei – Wolfgang Luef
Mit dem Kampf gegen Schlepper, hält es sich wie mit dem Krieg gegen den Terror. Wer genauer hinsieht und an der Oberfläche kratzt, stellt schnell fest, dass es sich um die hohle Konstruktion eines Feindbildes handelt, das meistens nur dem Zweck dient, Maßnahmen zu rechtfertigen, die sonst über keine Rechtfertigungsgrundlage verfügen. Die fehlende Differenziertheit in der Diskussion über Schlepperei, hilft dabei gewiss nicht, Menschenleben zu retten, sondern führt mittlerweile zunehmend zur Kriminalisierung von humanitären Arbeitskräften. Wie immer gilt auch hier, der Zweck heiligt alle Mittel.
Liebe Allianz der Vernunft,
Vernunft bedeutet doch, stets, die geistige Fähigkeit des Menschen, Einsichten zu gewinnen, sich ein Urteil zu bilden, die Zusammenhänge und die Ordnung des Wahrgenommenen zu erkennen und sich in seinem Handeln danach zu richten.
Aus diesem Grund und vielen noch gewichtigeren Gründen, ist es denke ich, wirklich höchste Zeit, verschiedene Einsichten zuzulassen.
Es gibt da nämlich einen anderen Weg als Mauern zu bauen…




